An der Gemeindeversammlung vom 3. September (in den Neumatt-Turnhallen) sollen die Stimmbürger mehrere Architektenbüros für das grosse Schulbau-Projekt in der Mühlematt auf den Weg schicken. Es geht um den Projektierungskredit für diesen Wettbewerb. Dieser Projektstart hat aber frontalen Gegenwind.
Die Gemeinde möchte den Architekten die Vorgabe «teils sanieren, teils neu bauen» mitgeben. Ein Komitee ist mit dieser Grund-Vorgabe nicht zufrieden. Es möchte nachhaltiger übers Mühlematt-Areal nachdenken. In Zahlen geht es in dieser Debatte darum, ob Belp 55 Mio. oder 70 Mio. bzw. 90 Mio. Franken ins Mühlematt steckt (Grössenordnungen). Die Zahlen variieren stark: Je nach Zeitfenster der Investition, Meinung zur Nutzungszeit von Schulhäusern oder Interpretation des Begriffs «Nachhaltigkeit».
Im Komitee «NEIN zur Sanierung – JA zum Komplettersatz» sitzen Lehrer, ein Architekt und ein Wirtschaftsprüfer. Es wirft der Gemeinde vor, sie habe diesen wichtigen strategischen Anfangsentscheid zuwenig genau überlegt. Das «teils–teils» der Gemeinde führe dazu, dass man in rund 30 Jahren auch die nur sanierten Gebäude neu bauen müsse. Dieser Sachverhalt bestätigt auch der Gemeinderat. Auf lange Sicht koste das die Gemeinde viele Millionen mehr, rechnet das Komitee vor.
Die Gemeinde hat nach dieser Intervention eine Zweitmeinung eingeholt und auf ihrer Website publiziert. Die Gemeinde-Berechnungen seien «grundsätzlich richtig», sagt diese Zweitmeinung, und: «Ein Komplettersatz stellt entgegen den Aussagen des Komitees keine günstigere Lösung dar.» Bezüglich Nachhaltigkeit habe der Grund-Entscheid des Gemeinderates «wesentliche Vorteile». Im Fazit steht: «Bei den gesamten Lebenszykluskosten könnte ein Kompletersatz allenfalls durch einen optimierten Betrieb etwas günstiger sein» – dies natürlich ohne Garantie, weil es ja auf die Kompaktheit und Qualität des entsprechenden Projekts drauf an komme.
Das Komitee hat sich auch in diese Plausbilisierung vertieft, ist nur teilweise überzeugt und wählt eindeutige Worte: Diese Plausibilisierung sehe nach «Falschinformationen» aus. «Die Gemeinde will jetzt einfach ihre Politagenda durchboxen.»
Die Plausibilisierung der Gemeinde lasse die wichtigen Betriebs- und Unterhaltskosten völlig ausser Acht. Das Komitee habe diese natürlich auch einberechnet, um einen echten Vergleich «unter dem Strich» zu erhalten. Weiter stolpere man über unrealistische Anwendung von Normen, falsch berechnete Abbruchkosten und Maximal-Frankenbeträge statt Mittelwerte.
Nach einem Gespräch zwischen Komitee und Zweitmeinungs-Architekt habe die Gemeinde den Fehler der nicht berücksichtigten Abbruchkosten korrigieren lassen. Zudem würden in der korrigierten Plausibilisierung drei Varianten abgebildet, damit die Gesamtkostenrechnung nicht einseitig bleibe.
Überprüfen kann man das nicht. Die Gemeinde will die korrigierte Zweitmeinung nicht mehr publizieren. Sie zieht es nun vor, zu schweigen – es bleibt der alte Plausibilisierungsbericht online. Am Telefon mit dem Gemeindepräsidenten Benjamin Marti ist Empörung zu spüren. Marti findet, auf dem Niveau dieser Vorwürfe könne man nicht diskutieren. Und die Gemeinde wäre ja eigentlich gar nicht verpflichtet, solche Plausibilisierungen einzuholen. Immerhin verspricht Marti: «Wir werden an der Gemeindeversammlung dann informieren.»
Es geht nicht einzig um Zahlen, Zeiträume und Fachwissen, sondern auch um Meinungen und Interpretationen. Als Beispiel die Lebensdauer eines Schulhaus-Neubaus. Die Gemeinde sagt in ihren Berechnungen: 50 Jahre. Das Komitee sagt, man könne realistischerweise mit 70 Jahren, vielleicht auch länger rechnen. Solche Unterschiede haben natürlich auf eine Gesamt-Investitionsrechnung Einfluss.
Weiter sagt das Komitee: «Man kann nicht eine Sanierung mit tiefem Standard vergleichen mit einem Komplettneubau, der neueste Standards eingebaut hat.» Denn wenn man das mache, sehe die Sanierungs-Variante zahlenmässig natürlich besser aus.
Weiter weist das Komitee auf die fehlende energetische Sanierung der Gebäudehülle hin. In der Plausibilierung vermutet der Zweitmeinungs-Schreiber (Seite 6): «Aufgrund der tiefen Kosten in der Gebäudehülle gehen wir davon aus, dass eine energetische Ertüchtigung nicht notwending ist.»
Architekt Markus Graber vom Komitee dazu: «Also keine Aussenmauer-Isolation? Ist das heute für öffentliche Gebäude überhaupt machbar? Und die Haustechnik: Sie wird bei der Sanierung neu eingebaut. Die sanierte Schulanlage hält aber nur rund 30 Jahre, dann wird abgerissen – ziemlich sicher ja auch die Haustechnik – und es kommt ein Neubau hin. Das hinterlässt schon Fragen.»
Graber sinniert: «Unser Komitee will für Belp eine gute Schule, nachhaltige Bauten und sorgfältigen Umgang mit Finanzen. Und je mehr wir uns in die Dossiers eingegraben haben, desto mehr erwarten wir auch transparente, klare und umfassende Information des Gemeinderats an die Belper Stimmbürger.»
Präsentation des Projekts seitens der Gemeinde im November 2019
Plausibilisierung der Kosten (Website Gemeinde Belp, August 2020)
Infoblatt (aktuelle Version) Komitee «NEIN zur Sanierung – JA zum Komplettersatz»
Belp entscheidet letztlich in der nächsten Gemeindeversammlung: Was heisst Nachhaltigkeit?
- A. Jetzt teils neu, teils sanierend bauen – und in rund 30 Jahren dann wieder bauen? Momentan also ein «tiefes» Budget sprechen zu können, in rund 30 Jahren aber ein weiteres «tiefes» Budget sprechen zu müssen?
- B. Die Grund-Strategie neu überdenken – jetzt mehr Geld investieren und komplett neu bauen, aber dann 70 Jahre «Ruhe» haben?
Die Variante A kostet vorerst rund 55 Mio. Franken, nach etwa 30 Jahren gemässs Berechnungen des Komitees aber insgesamt rund 90 Mio. Franken.
Die Variante B kostet gemäss Berechnungen des Komitees von Anfang an insgesamt 63 bis 70 Mio. Franken, danach würden aber für etwa 70 Jahre keine wesentlichen Baukosten mehr anfallen.
Hinweis der Redaktion – und vermutlich auch der Gemeinde Belp und des Komitees: Alle Zahlen gelten «approximative Grobkostenschätzungen» (ein schönes Wort aus der Planerbranche).
Naphtalin: Lässt sich das Problem mit Sanierung lösen?
In den bestehenden Mühlemattgebäuden sei das Naphtalinproblem gemäss Gemeinde momentan einigermassen im Griff. Gelöst ist es aber nicht. Nach der Sanierung soll es dann gelöst sein.
Der Bericht zur Sanierung, den die Gemeinde dem Komitee aushändigte, fördert weitere Sicherheit aber nicht gerade. In diesem Bericht steht: «Auf Grund des Ausgasens der teerölhaltigen Korkisolation (Wand) sowie der teerölhaltigen Splittschüttung (Boden) ist von einer Sekundärkontamination des Mauerwerkes sowie der Betonbodenplatte auszugehen. Folglich kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch nach dem Ausbau der Korkisolation und der Splittschüttung, ohne zusätzliche Abdichtung in Form einer Dampfsperre, eine messbare und wahrnehmbare Raumluftbelastung mit Naphtalin und Naphtalinähnlichen Stoffen besteht.»
Die Spezialisten vermuten also, es reiche nicht, für eine Sanierung die Wandisolation und die Böden auszuwechseln. Denn das Naphtalin könnte sich auch in die Mauer dahinter geschlichen haben. Mit einer Dampfsperre, also dem Anbringen einer speziellen Folie, könnte diese «Sekundärkontamination des Mauerwerkes» die Schadstoffkonzentration aber unter den Grenzwerten gehalten werden.
Heinz Haussener meint
Das ganze Hickhack via Medien und die sehr aufwändige Hauruckübung mit der (zu) späten Durchführung zweier Gemeindeversammlungen kurz hintereinander, an denen etliche interessierte Leute wegen der Korona Krise nicht werden teilnehmen können oder wollen, zeigen mir erneut, wie wichtig und richtig für Belp ein Grosser Gemeinderat wäre. Alle Geschäfte, allen voran das hier vorgestellte, hätten schon lange ohne diesen Zeitdruck viel sachlicher, effizienter und transparenter diskutiert und behandelt werden können. Dazu wäre der Entscheid viel demokratischer gefällt worden, weil die gewählten Volksvertreter das ganze Spektrum der Belper Bevölkerung abgedeckt hätten und undurchsichtige Einzelinteressen besser hätten durchschaut werden können.
Hauswirth S amuel meint
Da will sich offenbar ein Architekt wichtig machen. Aber hat er dann den Beweis, dass er dazu fähig ist?
M.Graber meint
Unsere Absicht steht im letzten Satz! Ich als Architekt habe definitiv kein Interesse am Planen einer Schulanlage (Bin ein Einmannbüro!)