Die Wahlresulate sind klar (die in Belp). Ein Rückblick auf ein paar Zahlen zeigen, wie Belp seine Kandidaten sieht.
Sehr interessante Wahlen würden es nicht werden. Wenig interessante Themen, wenig Kontroverse, das Gefühl «es funktioniert gut im Dorf», es werde dieses Mal eh nicht viel ändern. So dachten wohl nicht nur viele Wähler (und warfen die Wahlzettel ins Altpapier), sondern so dachte man vielleicht auch innerhalb der Parteien (und hielt sich mit Wahlkampf-Anstrengungen zurück). Bei den bürgerlichen Platzhirschen wurde dies zum Verhängnis. Der Block SVP-EDU-FDP büsst seine Vormacht ein, er muss Stimmen an Mitte-Grün-Links abgeben. Die SVP-EDU-FDP-Liste ist noch immer auf Rang 1, mit 44 Prozent Wähleranteil. Aber im 2016 waren dies (diese drei Parteien zusammengezählt) 54 Prozent: 9 Prozent der bisherigen Wähler haben sich verabschiedet.
Innerhalb der Wahlzahlen lässt sich auch herauslesen, wie beliebt ein Kandidat / eine Kandidatin quer durch alle Parteien ist.
Ab Formular 3b im PDF sieht man, wer nicht nur von der eigenen Partei, sondern von anderen als «wählbar» eingestuft wird und Stimmen «querbeet» erhält. Für stramme Parteisoldaten ist sowas eher eine Beleidigung, für ein gutes Politklima in einem Dorf ist es gut. Eine Beliebtheitsskala lässt sich dazu nur ungenau herausholen, u.a. weil auf der vorgedruckten bürgerlichen Liste niemand kumuliert ist, was schon deswegen viele handgeschriebene Änderungen zur Folge hat.
8 Prozent hinzugewonnen haben die Mitteparteien. Grüne+EVP+GLP hatten im 2016 11 Prozent, im 2020 kommen die drei (EVP+GLP listenverbunden) auf gemeinsam 19 Prozent. Der Wermutstropfen im Champagner ist der nicht ganz frewillige Rücktritt der EVP-Kandidatin Susanne Grimm-Arnold.
Die GLP rieb sich mit diesem Resultat und der Sache mit den «Arnold-Sisters» wohl zuerst die Augen, musste dann aber nicht lange überlegen. Man werde gerne nachrutschen, so bekräftigt Cornelia Baumgartner, die mit 275 Stimmen in den Gemeinderat einzieht. Champagner pur…
Champagner auch bei der SP. Sie hat den weitaus aktivsten Wahlkampf geführt. Zwar wenig attraktive Themen – die Köpfe aber sah man. Plakate/Inserate, mehrmalig das Parteiblatt in jeden Briefkasten, regelmässige Präsenz der Kandidaten im Dorf, der effektive Veloanhänger von Adrian Kubli. Das zahlt sich aus. Der Wähleranteil der SP liegt nun bei 29 Prozent, im 2016 warens 25 Prozent. Ob die SP nun die SVP überholt hat, lässt sich wegen der 1er-Liste von SVP-EDU-FDP nicht genau ausrechnen, es könnte aber sein.
Stefan Neuenschwander ist nicht nur wegen seiner kumulierten Stimmen der Personen-Wahlsieger. Ohne kumulierte SP-Wahlzettelstimmen kommt er noch immer auf 1350 Stimmen, wobei «fremde» kumulierte Stimmen vermutlich da auch noch beteiligt sind. Neuenschwander hat in dieser (ungenauen) Berechnung wenige Stimmen mehr als der Gemeindepräsident Benjamin Marti. (Marti holt ohne Kumulierung 1327 Stimmen. Als Gemeindepräsident geniesst er hohe Bekanntheit, muss aber auch für unbeliebte Gemeinderatsentscheide Prügelknabe spielen – das kostet vermutlich Stimmen bei «Denkzettelwählern»).
Solide ist das Resultat Adrian Kublis. Was so ein Veloanhänger ausmacht…
Einen weiteren Rückschlag muss die BDP verzeichnen. Die wenig hilfreiche nationale Identitätssuche (Fusion CVP, neuer Name «Die Mitte» etc.) hilft der Suche nach einem klaren Profil ja auch nicht sehr. Die BDP Belp hat nur noch 6,5 Prozent Wähleranteil (2016: 10 Prozent), sie ist auch hier zur Kleinstpartei geworden.
Die FDP, auch sie durch Kapriolen der nationalen Partei etwas identitätslos, geht in Belp weiterhin durch ein Tief. Immerhin: Ihr Achtungserfolg ist Patrick Müller, der mit Vereinsarbeit seine Sporen abverdient und erste Ernte einfährt: 960 Stimmen, 87 weniger als der Listenkollege Michael Brönnimannn (EDU, «bisher»).
Ob die gemeinsame bürgerliche Liste eine gute Taktik war? Wer überzeugter Belper FDP-ler ist, konnte «seine» pure FDP-Liste gar nicht einwerfen und liess es eventuell grad ganz bleiben mit wählen – dasselbe für EDU-Wähler.
Die EDU hoffte, gemeinsam mit den Listenpartnern SVP und FDP ihren Michael Brönnimann, seit einem Jahr im Gemeinderat, zu halten. Brönnimann ist in Belp zu wenig alltags-bekannt, er war im Wahlherbst auch wenig präsent. Ein paar Anlässe unter Insidern reichen heute nicht mehr aus, um wichtige neue Stimmen zu holen.
Die Wahlen 2020 sahen eine sehr tiefe Stimmbeteiligung: 29,49 Prozent (2016: 41,26 Prozent). Da ist vermutlich weniger Corona schuld (die Briefwahl diesseits des Atlantiks im Bäupmoos funktioniert gut), sondern mehr die allgemeine Meinung «es läuft ja in Belp».
2’416 Belper haben abgestimmt, die meisten davon per Brief. 92 Leute gingen ihr Kuvert im Dorfschulhaus einwerfen.
1’130 Wahlzettel wurden unverändert (vorgedruckt) eingeworfen, 1’281 Belper haben sich Zeit genommen, um zu einzelnen Kandidaten eine Veränderung zu notieren.
Wahlkampf ist Knochenarbeit. Die meisten Parteien wollen diese scheinbar nicht mehr leisten. Oder können nicht – es gibt kaum mehr Leute, die an klassischer Parteien-Arbeit interessiert sind. Dies ist übrigens auch innerhalb der SP so: Ihr grosser Wahlkampfeinsatz wurde von relativ wenigen Leuten geleistet.
Zur tiefen Stimmbeteiligung: Man muss sie nicht reflexartig bejammern. Man kann dies auch als Kompliment sehen, als Vertrauenkundgebung ins bestehende System. Wer will, kann mitreden. Wer nicht will, muss nicht. Wahlen für alle, Gemeindeversammlung für alle: Es ist alles da, es funktioniert alles höchst basis-demokratisch – es braucht auch keine neuen Konstrukte.
Richard Cescatti meint
Wenig intersante Themen in Belp?
Mühlematt und die anderen maroden Gebäude, Umwelt – und Klimaschutz, dringend Reformen in der Politik und Verwaltung von Belp, Ordsplanung inklusive Verkehr sind nicht intersant?
Intersant diese Meinung.
Was ich nicht gehört habe im Wahlkampf, was der alte Gemeinderat erreicht hat, Antworten auf die Frage, warum sich nichts getan hat, wie sich die Kandidatinnen und Kandidaten persönlich dafür einsetzen wollen damit sich etwas ändert damit die Projekte endlich vom Fleck kommen.
Der neue Gemeinderat muss nun beweisen ob es richtig war, dass sie mit einer Mehrheit einer beschämend Minderheit gewählt wurden.
Ach ja bei der Gelegenheit noch eine Frage an den Autor dieses Beitrag.
Seit wann ist eine niedrige Wahlbeteiligung ein Zeichen der Zufriedenheit des Volkes?
Ich bekomme eher ein Gefühl von Resignation kombiniert mit der Haltung von nach mir die Sintflut, macht was ihr wollt.
Ich bin überzeugt, dass sich diese Haltung schnell ändern würde wenn offen Kommuniziert würde um was es wirklich geht.
Da sind die Parteien und die Politikerinnen und Politiker gefordert.
Tom Mayer meint
Hallo Herr Cescatti, DANKE für ihr Mitdenken, Mitreden!
«Resignation»… ein interessanter Gedanke.
Ich sehe es weiterhin so: Für die grosse Mehrheit von Belp läufts aber gut genug (was nicht «perfekt» heisst) in Belp. Es ist natürlich eine Vermutung und nicht ein Umfrageresultat, man müsste sich breit herumfragen, ob jetzt «Belp ist OK» in den Köpfen ist oder «ich habe resigniert.».
Für Resignation würde ja sprechen, dass in den letzten Jahren viele Aktionen, Anläufe, Initiativen, Debatten etc. gelaufen wären, die dann aber «nichts» genützt hätten. Also von der grossen Mehrheit in Belp habe ich nichts solches bemerkt. Auch kleine Gruppen, die etwas ankurbeln wollen, spüren: es ist schwierig, andere zu motivieren. U.a. Parteienarbeit in Belp (gilt für jede Partei). Wo es wirklich im Schuh drückt, Bsp. Mühlematt/Naphtalin/Totalneubau, entsteht Initiative, bewegt sich etwas, wird ein Gemeinderatsvorschlag auch herumgebogen. Demokratie funktioniert!
«Offene Kommunikation» (was immer das heisst)… naja, das bringt wohl fast keine Behörde, kein Politiker wirklich hin. Nicht, weil man etwa würde manipulieren wollen (meine Hoffnung an diese Aussage stirbt zuletzt), sondern weil Behörden einfach anders ticken. Von Bund (BAG) über Kanton bis zu Gemeinde (Ortsplanungsrevision).
Wo wirklich LEIDENSDRUCK herrscht, Deutschland (Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Mediengleichschaltung), Weissrussland (Dikator), Venezuela (tja, der Sozialismus) etc. – dort ists ganz anders!
Wir in der Schweiz haben «Probleme» auf sehr hohem Niveau… Da bin ich wiederum fast dankbar, dass es so ist.
Marcel Spinnler meint
Lieber Tom
Interessante Zusammenstellung mit zwei Frechheiten in der Interpretation aus meiner Warte:
«Zwar wenig attraktive Themen» bei der SP.
Hast Du denn all die Flyer mit den umfangreichen Infos und Statements nicht gelesen? Da war auch ziemlich viel Inhalt, nicht nur Wahlslogans. Oder was wäre denn attraktiv?
«Solide ist das Resultat Adrian Kublis. Was so ein Veloanhänger ausmacht…»
Adrians Erfolg auf den Anhänger zu reduzieren wird dem grossen Einsatz und der Kompetenz von Adrian Kublis während der letzten vier Jahre ganz sicher nicht gerecht.
Tom Mayer meint
Lieber Marcel,
Danke für deine Rückmeldung!
Die SP hat alles rausgeholt aus den Belper Aktualitäten, was man konnte. Dies hat dann das ganze SP-Wählerpotential in Belp herausgeholt, was möglich war => Gewinnerseite.
Wahl-attraktive Themen in Belp gab es in diesem Herbst aber nicht wirklich (falls man nicht künstlich aufblasen will). Allgemein kein «Leidensdruck» (oder zuwenig)..
Mit ein paar Leuten habe ich überlegt, ein Wahlpodium zu machen, aber es gibt derzeit einfach nicht viel her. Höchstens die Ortsplanungsrevision, aber die ist momentan eher noch sehr schwammig.
Veloanhänger: Du hast den Text negativ interpretiert und/oder ich habe zu knapp geschrieben. Mitnichten ist es eine «Reduktion», ich sehe sein Resultat ja als «solide» und habe andernorts den Anhänger, als Vehikel zur Wahlkampf-Kommunikation, als sehr effektiv beschrieben. Idee top, Aufwand klein, Wirkung gross. Und ohne solide Arbeit im Gemeinderat nützt auch ein Veloanhänger nichts. Also, Marcel / Adrian: Es ist ein Kompliment, von einem der immer mal wieder selber darum ringt, gute Werbung zu entwickeln.
Marcel Spinnler meint
Lieber Tom
Auch Dir ein Dankeschön für die Antwort.
Ich bin aber naturbedingt optimistischer. Das war noch nicht das ganze Wählerpotenzial der SP ;-)