Man sah überall im Dorf, was kommen könnte in der Abstimmung zur Ortsplanungsrevision: Mehr NEIN als JA. Dass die Niederlage für Gemeinderat und Parteien aber so radikal wurde, damit rechnete wohl niemand.
Die Fakten
Hauptvorlage:
2969 NEIN, 1893 JA
Areal Traube:
3611 NEIN, 1251 JA
Areal Muracher:
3501 NEIN, 1346 JA
Areal Eichholzweg:
3253 NEIN, 1597 JA
Stimmbeteiligung: 65 Prozent!
Zwei Drittel aller Stimmbürger haben sich den Abstimmungszettel vorgenommen, auf Kopf und Herz gehört und entschieden.
Die Meinung
Die offizielle Erklärung der Gemeinde lässt den Schock an der Gartenstrasse spüren: «Die Gemeinde kann (nun) ihre Entwicklungsziele … nicht umsetzen».
Jahrelange Arbeit, hunderte von Sitzungen, Gesprächen mit Eigentümern, Abklärungen mit kantonalen Stellen: alles «für nichts». Man will gar nicht wissen, welche Stundenzahl auf dem Arbeitsrapport dieses Projekts steht (gibts eigentlich Arbeitsrapporte in der Verwaltung?). Und erst die direkten Investitionen…
Es hat sich schon in der Abstimmung ums Schulhaus Mühlematt gezeigt. Jetzt, in der Ortsplanung, erst recht: Der Gemeindepräsident, sein Gemeinderat und die Parteien spüren ihre Bevölkerung nicht mehr.
In einem Projekt wie der Ortsplanungrevision kann man heute scheinbar nicht mehr so vorgehen, wie es in einem «Lehrbuch Gemeindeverwaltung 2000» (oder so) steht. Hunderte ziemlich interne Sitzungen, dann Prospekte mit viiiel Text verteilen, auf der Website viele Inhalte in X Schubladen ablegen, Dorfspaziergänge anbieten, Gipsmodelle und Infoposter im Gürbesaal ausstellen. So gewinnt man weder die Gedanken noch die Herzen der Bevölkerung.
Ein paar laut Protestierende, die in der Mitwirkung ihre Opposition einreichten, hoffte man zu besänftigen. Zum Beispiel die Vorschläge im Quartier rund um die Gartenstrasse hat die Gemeinde aus den Ortsplanungs-Vorschlägen gelöscht. Oder sie hat ein paar Stockwerke aus den geplanten neuen Steinbach-Hochhäusern weggeschnitten.
Es nützte nichts. Es gab weitere Fragen der Bevölkerung, denen nicht in einer verständlichen, klaren Antwort begegnet wurde. Vielleicht waren ja gar keine klaren Antworten vorhanden. Das Dorf wurde unzufrieden. Die Fragen drehten sich um Verkehrsentwicklung, Veränderungen des Steuerfusses, Veränderung der Schulen, Durchgangswege und mehr.
Die Gegner der Revision, allen voran die Gruppe «Belp bleibt Belp», investierte viel Zeit, um gewisse zahlenbasierte Infos zu publizieren. Man rechnete mit Annahmen, weil die Gemeinde ja wenig Konkretes vorrechnete (Sprachregelung der Gemeinde: «das Wachstum ist massvoll»).
Gemeindepräsident Benjamin Marti griff im «Belper» diese Gegenseite im Abstimmungskampf frontal an – mit der Keule «Fake News». Nun ja… was die Gemeinde machte, ungenügende Information zu liefern, könnte man ja indirekt auch als Fake News bezeichnen.
So starke politische Fronten hatten wir in Belp schon lange nicht mehr. Viele NEIN-Plakate im Dorf (mit Argumenten), dann etwas überhastete JA-Plakate (ohne Argumente), ein NEIN-Prospekt im Briefkasten (mit vielen Argumenten), ein JA-Prospekt im Briefkasten (mit vielen Argumenten, Absender «die Parteien» und das Gewerbe), bis zu Sprayereien.
Auch die Kommentare auf Bäup.ch zeigen das Engagement in der Debatte. Seltsamerweise haben nur wenige das Rückgrat, mit ihrem vollen Namen zu publizieren.
Gedanken und Herzen der Bevölkerung zu gewinnen, gelang dem Gemeindepräsidenten also nicht. Politiker erklären nach einer Niederlage gerne: «Es gelang nicht, dem Volk unsere Ideen genügend zu erklären.» Lag es nur an der Kommunikation?
Vielleicht waren die Ideen an sich einfach ungeeignet für die Menschen, die in Belp wohnen.
Und jahrelang spürten dies weder der Gemeinderat noch sein Präsident noch die Parteien (die grossmehrheitlich für ein oder mehrere JA’s plädierten).
Gedanken und Herzen der Bevölkerung gewinnt der Gemeinderat, wenn er die Bevölkerung mitnimmt. Von Anfang an. Permanent gut zuhören. Gemeinsam Ideen entwickeln, auf einem längeren Weg. Partizipation in der Breite. Laufend sehr gut dokumentieren, kommunizieren.
In einem ersten Workshop vor langer Zeit wollte die Politik das abhaken. Ein Abend im Aaresaal. Beamerbilder, Pläne auf dem Tisch, lockere Diskussion um die Tische. Keine einsehbaren Gesprächsnotizen.
Es habe auch eine handverlesene Gruppe geben, die in Sachen Dorfentwicklung weiter diskutiert habe. Keine transparente Info, keine einsehbaren Gesprächsnotizen, keine Links auf der Website.
Eigentlich hätte Gemeindepräsident Benjamin Marti dann eine gute Richtung engeschlagen, als er sich im 2018/2019 überlegte, wie man die Partizipation der Bevölkerung verbessern könnte. Das externe Beratungsbüro, das diese Verwaltungsreform begleitete, realisierte letztlich aber nur die Umstellung des internen Organigramms an der Gartenstrasse. Der Vorschlag, wie Politik und Verwaltung mehr aufs Volk hören könnten, ging nach klarem Protest von Politik-interessierten Belpern und der Kommissionen schnell bachab.
Die Gemeinde hat sich nach diesem misslungenen Versuch fast nur noch um sich selber gedreht, Organigramme gezeichnet und in der Verwaltung neue Stellen geschaffen. Bezüglich einer breiteren Partizipation hat man in der Gartenstrasse eher das Gegenteil organisiert: Der Gemeindepräsident, seine «Führungsunterstützung» (es ist die externe Beraterin in der Verwaltungsreform, welche die Seite wechselte), eine 6-köpfige Geschäftsleitung. Daneben der Gemeinderat. Irgendwo noch Kommissionen.
Das sieht nach schleichender Machtkonzentration aus – mit Schwächung der Kommissionen und Zentralisierung der Entscheidungswege. Ein solches Konstrukt tendiert dazu, die Bevölkerung immer weniger zu spüren.
Bei der Ortsplanung hat die Bevölkerung entschieden. Sie ist der «Souverän», sie entscheidet. Der Schock und die Konsternation an der Gartenstrasse wird sich vermutlich wieder legen. Der Gemeindepräsident muss nun zuerst mal den Baukonzernen mitteilen, dass nichts wird mit den erhofften Grossbaustellen.
Nach einer Zeit der Entspannung könnten wir in Belp neu anfangen, Zukunft zu planen. Gemeinsam. Fast auf dem weissen Blatt. Mit etwas mehr Erfahrung in Ortsentwicklung und Partizipation. Die allermeisten NEIN-Stimmenden wollen durchaus Zukunft und Dorf-Entwicklung für Belp. Aber anders.
Ein Trainingsprojekt für eine neue Art der Partizipation könnte das neue Dorfzentrum sein. Soeben informiert der Gemeinderat, er habe dazu eine «Vorstudie in Auftrag gegeben». Er schreibt von «Materialisierung» und «Raumkontinuum» und «Aufenthaltsqualität». Das tönt nach Theorie aus Planungsbüros.
Ein «Workshopverfahren» sei geplant. Das tönt schon besser, hoffnungsvoll, nach Partizipation. Die Gemeinde könnte hier zeigen, dass sie doch anders kann.
Heinz Haussener meint
Es scheint mir auch so, dass der Gemeinderat die Bevölkerung nicht mehr spürt! Mir stellt sich aber die Frage, ob er die Bevölkerung überhaupt spüren, respektive hören will. Die neue Gemeindeorganisation, die er in eigener Regie einfach durchgedrückt hat und mit der die Kommissionen langsam entmachtet, bedeutungslos und abgeschafft werden, zeigt in eine andere Richtung, nämlich in Richtung Ausbau der Macht von Gemeindepräsident, Gemeinderat und Verwaltung! Deshalb braucht es als Gegengewicht unbedingt ein Gemeindeparlament, in dem die Bevölkerung besser und breiter abgebildet ist und das den Gemeinderat und seine Arbeit hinterfragen, ihn kontrollieren und ihm auch Aufträge erteilen kann. So würde er die Bevölkerung sicher wieder besser spüren!
Pascal Tobler meint
Ob Ihr Ruf nach einem Parlament die einzig richtige Schlussfolgerung ist, lasse ich mal offen. Ihre Analyse trifft es jedoch zweifellos sehr gut! Ich nehme wie Sie ebenfalls eine deutliche, ungute Machtverschiebung hin zur Verwaltung wahr. Wenn die anderen Gemeinderatsmitglieder unseren Gemeindepräsidenten und seine Verwaltungsentourage ungenügend kontrollieren können (was sie vielleicht gar nicht sollen, weil sie ebenfalls Exekutivfunktion haben), so stellt sich für mich die Frage: Wer dann? Etwa die Gemeindeversammlung??
Sie sprechen einen guten Punkt an. Mitglieder eines Gemeindeparlaments könnten dem Gemeinderat Anträge stellen. Als einfache Bürgerinnen und Bürger ist uns dies offensichtlich nicht möglich. Als wir aus unserem Quartier dem Gemeinderat einen Antrag einreichen wollten, wurde ich belehrt, dass dies nicht gehe. Die einzige Möglichkeit sei eine Petition (Bittschrift). Diese haben wir dann tatsächlich eingereicht, und wir mussten sechs Monate (!) auf eine Antwort warten (vgl. Gemeindeordnung, Art. 41, Ziff. 2). Von wem wurde die abschlägige Antwort erarbeitet, die dann dem Gemeinderat ohne Diskussion zur Ablehnung unterbreitet wurde? Sie werden es erraten haben: Von der Verwaltung (zu welcher ich übrigens auch das Gemeindepräsidium rechne)!
Pascal Tobler meint
Korrektur: Wir mussten vier Monate auf eine Antwort warten.
Marcel Spinnler meint
Lieber Heinz
Beim Wunsch nach einem Parlament sind wir uns total einig.
Liebe Grüsse
Marcel
Richard Cescatti meint
Das in Belp die Politik und die Verwaltung ein Problem hat mit Bürgerinnennähe und Kommunikation ist jetzt nicht wirklich neu. Neu ist, dass es so sichtbar ist wie nie.
Die Bevölkerung muss sich der Frage stellen, warum so wenig Menschen politisch aktiv sind.
Die Antwort könnte lauten weil der Job extrem unattraktiv ist. Angriffe aller Art, besonders in sozialen Medien sind nicht gerade motivierend sich zu engagieren. Auch müssen sich die Parteien Gedanken machen wie sie Nachwuchs finden. Das dieser fehlt ist durch die jüngsten Entwicklungen in der Parteienlandschaft unübersehbar.
Am wichtigsten wird jedoch für Belp eine grundlegende modernisierung der Politik und Verwaltung sein.. Ein weiteres gescheitertes Projekt auf das der (alte) Gemeinderat und die Parteien nicht stolz sein können.
Wie wäre es mit einem Parlament und Neuwahlen?
Blunier Kurt meint
Auf Grund der Abstimmungsergebnisse wird klar, dass es der Gemeinde sowie den Parteien nicht gelungen ist, Bürger und Bürgerinnen von etwas zu überzeugen, was in kleinen Gremien als gut befunden wurde. Wenn alle Parteien geschlossen hinter der Ortsplanung gestanden sind, und diese nun mit einer derartigen Eindrücklichkeit abgelehnt wurde, dann wird klar, dass am Volk vorbeipolitisiert wurde.
Namentlich der Gemeindepräsident hat sich für die Vorlagen und den darin enthaltenen Wachstumsideen sehr stark eingesetzt. Zwar wurden für die Bürger Infoveranstaltungen durchgeführt, Quartierbesichtigungen veranlasst und Einzelpersonen konnten auch vorsprechen – zugehört, analysiert und nachgedacht wurde aber nicht. Die Anpassungen, welche vorgenommen wurden wie der Verzicht auf das Projekt in der Region Gartenstrasse oder die Reduktion der Baugeschosse im Steinbach, sind nicht auf Grund des Zuhörens entstanden – vielmehr war es der enorme Druck aus der Bevölkerung, welcher zu Zugeständnissen geführt hat.
Es mag sein, dass der Gemeindepräsident zugehört hat, wem bleibt unklar – mit Sicherheit aber eben nicht der Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Bevölkerung. Hinzu kommt, dass sich ein Gemeindepräsident seiner Aufgabe entsprechend für die Gesamtheit der Bürgeranliegen einsetzen muss und sich nicht als Zugpferd für eine Idee und deren Anhänger (seien es noch so wenige) engagieren darf. Das Amt des Gemeindevorstehers ist höher zu gewichten als die Rolle des Präsidenten der Planungskommission.
Das Komitee „Belp bleibt Belp“ hat nichts anderes gemacht als mit Fakten operiert und eine Sichtweise eingebracht, welche zwar nicht derjenigen der Ortsplaner entsprach, jedoch aber auf Verständnis der Bürger gestossen ist. Sachlich wurden Schwachpunkte in der Ortsplanung sowie in den Teilvorlagen aufgezeigt; die Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Belper und Belperinnen kam offenbar zu ähnlichen Schlüssen. Es wäre falsch „Belp bleibt Belp“ für das Abstimmungsresultat im negativen Sinne verantwortlich zu machen: die hohe Stimmbeteiligung zeigt, dass sich die Belper und Belperinnen für das Thema interessiert haben – es sind knapp 5‘000 Stimmabgaben erfolgt. Lediglich 737 Personen gelten jedoch als Unterstützer der Bewegung „Belp bleibt Belp“.
Die Formierung von besorgten Bürgern zu „Belp bleibt Belp“, das regelmässige Einbringen kritischer Stimmen von Einzelpersonen in den Gemeindegremien, kritische Beiträge in den sozialen Netzwerken und spätestens die Rebellion des Quartiers Gartenstrasse und Steinbach hätten zu einem Überdenken der Wachstums- und Veränderungsideen führen können/sollen. Das beharrliche Verfolgen des eingeschlagenen Weges im Sinne eines Feldzuges gegen die vermeintliche Verhinderung von Wachstum, gegen vermeintlich konservative Sichtweisen und fehlende Veränderungsbereitschaft hat eben auch nicht dazu beigetragen, dass ein Konsens gefunden wurde.
Es ist zu hoffen, dass aus der Abstimmung, welche gemäss BZ vom Gemeindepräsidenten als „Abfuhr“ bezeichnet wurde, die nötigen Schlüsse gezogen werden.
Häme ist fehl am Platz – es geht nun darum, die unumstrittenen Teile der Ortsplanung umzusetzen und konstruktive Lösungen zu erarbeiten, welche dann auch mehrheitsfähig sind.
Felix Kubli meint
So so, da hat also der GR alles falsch gemacht. Dabei wurden seine Mitglieder vor noch nicht langer Zeit von den Belpern gewählt, und zwar zur Zeit, als die OP schon im Entwurf vorlag. In letzter Minute sind dann die Kritiker aufgewacht und haben das teure Projekt mit extremen Argumenten, Neid gegenüber den Eigentümern der neuen Bauzonen und Angst vor einer möglichen Entwicklung gebodigt. Wer hat da wohl nicht mitgemacht? Doch wohl der Teil der Belper, die sich nicht rechtzeitig mit ihren vermeintlich besseren Ideen bemerkbar gemacht haben. Der GR und seine Vorgänger haben einen guten Job gemacht. Aber jetzt brauchen die Gegner der Planung Sündenböcke.
Marcel Spinnler meint
Aber Hallo! Bin ich denn nicht Teil der Bevölkerung, wenn ich bei einer Partei mitwirke? Es ist nicht Aufgabe, einer Partei, die Bevölkerung zu spüren. Ich habe mich ernsthaft und umfassend zur OPR informiert und bin zum Schluss gekommen, dass sie überzeugt. Darf ich jetzt meine Meinung nicht vertreten, wenn ich Parteimitglied bin und eine konträre Stimmung ausmache? Ich habe keinen Auftrag, die Mehrheitsmeinung zu vertreten! Den hat allenfalls ein Gemeindepräsident.
Pascal Tobler meint
Doch, doch. Klar sind Sie auch dann Teil der Bevölkerung, wenn Sie sich (verdankenswerterweise) in einer Partei und damit für das Allgemeinwohl einsetzen. Dass Sie zu anderen Schlüssen gekommen sind als die Mehrheit der Belperinnen und Belp, ist Ihr gutes Recht. Und Sie dürfen Ihre Minderheitsmeinung durchaus vertreten. Bloss bringt es nicht weiter, wenn wir weiterhin über die abgelehnte OPR diskutieren. Jetzt braucht es bessere Lösungen als die masslose Ortsplanung, die mit Recht verworfen wurde.
Der von Ihnen kritisierte Artikel fordert zu Recht eine breitere und echte Mitwirkung der Bevölkerung. Für mich würde dies bedeuten, dass ich schon während der Entstehung einer OPR auf ihre Ausgestaltung Einfluss nehmen kann – und nicht erst am Schluss, wenn sich die Frage stellt: Ja oder Nein? Dies sollte auch dann möglich sein, wenn ich nicht Parteimitglied bin oder in einer Kommission mitarbeite. Und es sollte eine echte Partizipation sein, das heisst: Man lässt die Interessierten nicht nur mitdiskutieren, sondern man macht dann auch etwas mit den Inputs. Z. B. wurde schon im Bericht zur öffentlichen Werkstatt-Veranstaltung vom 17.2.2016(!) Folgendes in der Zusammenfassung festgehalten: „Bereits heute bestehen Probleme mit dem Durchgangsverkehr, welche anzugehen sind. Bei einem Bevölkerungswachstum wird gefürchtet, weitere Verkehrsprobleme zu generieren“ (S. 17). Was hat man daraus gemacht? Die Parole „Nein zu noch mehr Verkehrschaos“ lässt grüssen!