Die Gemeinde Belp legt ihren Bürgern in einer Online-Umfrage in diesen Wochen den Vorschlag einer Behörden- und Verwaltungsreform vor. Ex-Gemeindepräsident Rudolf Joder hat die vorliegenden Papiere gelesen. Seine Kritik an den Ideen der Gemeinde Belp ist frontal. Er kontert fast jeden Bereich des Reformvorschlags: «vieles darin sind Worthülsen und Leerformeln».
Der Jurist und langjährige Gemeindepräsident Belps (1989–2004) hat kein Verständnis für das Reformvorhaben der Gemeinde: «Man macht etwas zum Problem, das keines ist. Einige der Vorschläge gehören zum normalen Arbeitsalltag von Behörde und Verwaltung. Das kann und soll die Gemeinde intern lösen.»
Grundsätzlich sei die Reform ein Abbau der Volkrechte. «Die Folgen für Belp sind schlecht. Das Volk verliert, die Verwaltung gewinnt. Man spürt das schon nur, wie sich die Gemeinde in der Kommunikation dieser Reform verhält.» Es sehe so aus, als ob der Bürger ein Störfaktor sei.
«Es geht in der Politik grundsätzlich um eines: Um Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Ich habe Angst um die bisher gute politische Kultur in Belp, die kaputt gehen könnte.»
Joder breitet in einem Gespräch mit Bäup.ch Punkt um Punkt seiner Kritik aus. «Vorab ist mir wichtig: Das hier geht nicht gegen Personen. Ich habe nichts gegen die Leute in unser Vertwaltung. Es geht um die Sache.» Und: «Ich will mich eigentlich nach meiner langen Politkarriere nicht mehr gross einmischen, aber ich kann in diesem Fall ja nicht anders.»
Zeitpunkt von Ankündigung und Infoabenden:
«Man setzt beides in der Ferienzeit an. Ernsthaft kann das nicht sein. Ehrliches, echtes Agieren geht anders.»
Form der Umfrage:
«Ein elektronischer Fragebogen ist einfach zu manipulieren. Er lässt viele Bürger ganz einfach aussen vor.»
Zusammenschluss von Bereichen zwecks mehr Synergien:
«Es gebe mehr Ressort-übergreifende Geschäfte, darum brauche es diese Reform? Nein. Es braucht sie nicht. Man hat schon immer übergreifend gearbeitet. Man hat dazu temporäre Ausschüsse gebildet, bis das Projekt oder Problem gelöst war. So arbeitet man auch auf kantonaler und Bundesebene zusammen. Ist eigentlich selbstversändlich. Beispiel Ortsplanung, Fragen wie: Wie wollen wir neue Gebiete gestalten, wo brauchts bei mehr Wohnraum, wo neue Kindergärten, wieviele Stockwerke können wir machen, wie wirkt sich das auf den Verkehr und die Finanzen aus – da ist man quer durch die Ressorts zusammengesessen und hat daran gearbeitet. Ohne Reformen.»
Reduktion von sieben auf zwei Kommissionen:
«Damit verlieren kleinere politische Gruppierungen ihre Mitsprachemöglichkeiten – sie fallen raus. Das ist falsch. Alle sollen sich einbringen können, die Zugänge müssen unkompliziert sein.» — «Überhaupt: Diese vorgeschlagenen Kommissionen ‹Gesellschaft› und ‹Infrastruktur› sind Feld-Wald-Wiesen-Kommissionen, für alles und nichts zuständig und für den Bürger nicht fassbar. Er hätte keine konkreten Ansprechpartner mehr für seine Probleme.»
Gemeindeparlament:
«Es ist logisch, dass die kleineren Parteien nun mit dem Parlament kommen, wenn sie aus den Kommissionen geworfen werden. Dass dieses Thema nach so kurzer Zeit schon wieder kommt, ist unsäglich. Solange unsere Gemeindeversammlung im Aaresaal organisatorisch machbar ist, brauchts kein Parlament. Wenn gejammert wird, dass zuwenig Leute an eine Gemeindeversammlung kämen, bedeutet das einfach, dass das Volk zufrieden ist.» – «Zudem: Eine Gemeindeversammlung viel effizienter, demokratischer und billiger als ein Parlament.» — «An eine Gemeindeversammlung kann jede(r) kommen. Kritische Fragen aus heiterem Himmel sind möglich – gut! Klar, das ist für die Bereichsleiter und den Gemeinderat auch ein Risiko…»
Streichung von 68 auf 41 Kommissionsmitglieder:
«Das Gejammer, man fände keine Kommissionsmnitglieder mehr, ist Blödsinn! Es kommt auf die Haltung der Gemeinde an. Nimmt sie die Kommissionsarbeit ernst oder nicht? Wenn ja, findet man auch Leute. In den Kommissionen sitzen oft Profis, die sehr gute Arbeit leisten und kritisch-konstruktive Fragen stellen. Das ist gut!»
Schaffung einer neuen Stelle für einen Geschäftsführer:
«Das ist sachwidrig. In einer Gemeinde muss die Politik auch die Verantwortung für die Verwaltung, also das Operative, übernehmen! Vor noch nicht langer Zeit hat man das Präsidialamt ausgebaut. Nun heisst es: Es braucht zusätzlich einen Geschäftsführer. Dabei ist Führen der Job des Präsidenten! An der Chefbeamtenkonferenz wird koordiniert und vernetzt. Dazu brauchen wir nicht einen neuen Geschäftsführer mit hohen zusätzlichen Lohnkosten. Wo ist dann noch der Gemeindeschreiber? Eine neue Position eines Geschäftsführers bringt auch mehr Unruhe, und sicher mehr Führungsprobleme – bei zwei Chefs.»
Joders Lösung für die Gemeindereform?
«Übung abbrechen. Sich intern so organisieren, das Vernetzung direkt passiert – es braucht dafür keine Reform.»
«Wünschenswert wäre, wenn sich der Gemeinderat den wirklichen Problemen der Bürgerinnen und Bürger zuwenden würde. Zum Beispiel den Verkehrsproblemen. Oder der Sanierung der Turnhalle Neumatt, damit die Vereine sie wieder nutzen können.»
Rudolf Joder (69) war Fürsprecher und Vollblutpolitiker. Er politisierte für die SVP, eckte mit seiner Haltung aber immer wieder auch innerhalb seiner Partei an. Joder sass u.a. im Grossrat (1982–1998), war Belps Gemeindepräsident (1989–2004) und wirkte 16 Jahre im Nationalrat (1999–2015). Dort war er u.a. Präsident der GPK. Er galt als Macher, Konsenspolitiker und Netzwerker.
Seither ist es ruhiger um ihn geworden. Als Fürsprecher entschloss sich Joder, an der Universität Zürich noch eine Dissertation zu schreiben. Thema: Die Aufsicht der Bundesversammlung über die Post. «Das ist ja mit dem Postautoskandal plötzlich ein heisses Thema geworden…»
Daneben engagiert Joder sich u.a. für eine bald zur Abstimmung kommende eidgenössische Volksinitiative zur Besserstellung der Pflegeberufe (hier ein Gastkommentar Joders in der NZZ).
Richard Cescatti meint
Stellungnahme
Nach dem 2. Info Abend der Gemeinde Belp zur Verwaltungsreform ist für mich klar. diese Reform ist keine Reform sondern eine Machtverschiebung.
Das ganze ist kompliziert und für Bürgerinnen und Bürger unverständlich.
Die Internetumfrage ist nichts wert da tatsächlich manipulierbar, was vom Gemeiderat bestätigt und akzeptiert wird. Ob das Ergebnis überhaupt Einfluss auf die weitere Arbeit hat ist nur davon abhängig ob der Gemeiderat das will.
Was der Gemeinderat will sagt er aber in der Umfrage mehrfach.
„Was der Gemeiderat will“ ist einer der häufigsten Sätze in der Umfrage.
Ein Parlament sei nicht notwendig weil ja bis 5% der Stimmberechtigten die Möglichkeit nutzen ihre Stimme abzugeben. Gemeint sind wohl immer die 5% die am meisten interessiert sind am Ergebnis?
Zudem hätte man erst kürzlich ein solches Projekt abgelehnt.
Wohl von 90% der 5% anwesenden Personen ?
Und kürzlich heisst, wenn es wieder zu einer Abstimmung kommt, mindestens vor 5 Jahren.
Jetzt ist auch klar, warum mancher Auftrag an den Gemeinderat noch nicht umgesetzt ist. Er wurde ja erst kürzlich, also vor Jahren, erteilt.
Fazit
Abbruch der Übung.
Die Parteien sollen sich zusammenraufen um eine demokratische Lösung zum Wohl des ganzen Volkes zu präsentieren. Keine Hau Ruck Übung sondern eine seriöse Arbeit die über die nächsten Gemeidewahlen hinaus gehen wird.
Dies ist die Aufgabe von Regierung, Parlament, so vorhanden, und der Parteien also des Volkes für das Volk. WIR bestimmen wer uns wie regiert und verwaltet.
Darum muss sich Herr und Frau Belp auch selber an der Nase nehmen.
Warum waren auch diesmal kaum Leute am Info Abend anwesend? Warum haben die Parteien Probleme damit in der Praxis überhaupt noch zu existieren? So wie mir bekannt ist gibt es Parteiversammlungen wo mehr Vorstandsmitglieder als Parteimitglieder anwesend sind.
Also bitte nicht beklagen, wenn es irgendwann heisst ;
Was der Gemeinderat will ist jetzt Gesetz.
Richard Cescatti
Müller Bruno meint
Bin mit dir Fritz einverstanden,
es kommt mir vor wie in deer EU.
Peter Baumeler meint
Die vorgeschlagene Gemeindereform ist bestimmt noch nicht „das Gelbe vom Ei“!
Ich empfinde das Verhalten von Rudolf Joder destruktiv und verbittert. Offenbar soll eine Umfrage beeinflusst werden. Es passt einfach nicht in unsere politische Kultur, wo man Bürger und Verwaltung ernst nimmt und wo man Probleme mit Respekt diskutieren kann. Solche Kommentare zu schreiben bevor die Ergebnisse aus der Umfrage bei der Bevölkerung bekannt sind, beweist die mangelhafte Achtung vor dem Souverän. Was ist bloss mit unserem einstigen Vorzeigepolitiker geschehen?
Haussener Heinz meint
Mit einer Ausnahme bin ich mit den Ausführungen von Rudolf Joder einverstanden. Deshalb möchte ich nur noch unterstreichen, dass diese Gemeindereform die schon allzu grosse Macht von Verwaltung und Gemeinderat verstärkt und den Gemeindebürgerinnen und -bürgern nur noch eine Scheinmitsprache überlässt. Das neu vorgesehene Amt eines Chefs der Chefbeamten zusammen mit dem bereits bestenden Vollamt des Gemeindepräsidenten ohne Parlament, gibt den zwei Ämtern schon fast diktatorische Macht. Die Ausnahme, wo ich mit Rudolf Joder nicht einverstanden bin, betrifft das Parlament. Das müsste bei einem vollamtlichen Gemeindeptäsidenten schon ohne Reform als Gegengewicht zwingend sein! Ein Parlament bildet die Bevölkerung viel besser ab als eine Gemeindeversammlung mit durchschnittlich 1% Beteiligung und ist deshalb demokratischer! Dass dem so ist, beweist schon nur, dass es im ganzen Kanton Bern neben Belp nur noch eine einzige Gemeinde mit über 10’000 Einwohnern gibt (Ittigen), die kein Parlament hat! Also ganze Übung abblasen und wenn schon, dann mit einem Parlament vorlegen!
Fritz Sahli meint
Rudolf Joder hat den Nagel in jeder Beziehung direkt auf den Kopf getroffen.
Die Gemeinde muss ein Dienstleistungsbetrieb für die Bevölkerung blieben. Bei einer (mindestens schleichenden) Umwandlung der Gemeinde in ein faktisch privatrechtliches Unternehmen mit einem CEO verlieren die Bürgerinnen und Bürger einen grossen Teil ihrer Mitsprachemöglichkeiten und sind nur noch dazu da um zu zahlen.
Anlässlich der Gemeindeversammlung vom 16. Juni 2016 (also vor nur wenig mehr als 3 Jahren) ist die Gemeinde ausreichend reorganisiert worden und man hat zu 80 Prozent einen hauptamtlichen Gemeindepräsidenten gewählt. Wenn der Gemeindepräsident einmal wirklich Hilfe brauchen sollte, so kann er sich – anstatt an einen Gemeinde-CEO – ganz einfach wie heute an sein kompetens Rats-Kollegium halten.
Die neue Reorganisation bis in nicht viel mehr als einem halben Jahr (März 2020) durchzupauken, wo auch wieder die Gemeindeordnung und zahlreiche Reglemente betroffen sind, liegt sowieso jenseits von seriöser Gemeindearbeit.